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Braucht man heute noch HiFi?


"
Eine Musikanlage im Haus gehört zum guten Ton" ("Stiftung Warentest" 03/2010).

Warum aber klingt das Wort "Musikanlage" inzwischen so veraltet wie "der gute Ton", "HiFi" oder "Stereo"?


Vielleicht weil Bild und Ton auch ohne eine "Anlage" jederzeit verfügbar sind. Über Ohrhörer kann man Musik überall ohne störende Außenwelt hören, zu Hause liefern auch kleine smarte Lautsprecher einen angenehm fülligen Sound und die meisten Menschen glaubten schon immer, "klangliche Feinheiten" höre man ohnehin nicht. (Denkbar wäre, dass sie Details nur deshalb nicht hören, weil ihre Lautsprecher sie nicht auflösen können. Das wäre dann, als erkläre ein Analphabet, warum man keine Bücher brauche.)


Medienkonvergenz.


Bild und Ton nutzen die gleichen Quellen und die gleichen Endgeräte. Der Ton ist meist ein Soundtrack und in einer Konzertaufnahme erkennt man die Klarinette daran, dass die Klarinettistin im Bild erscheint. Ton allein gibt es für spezielle Zwecke wie Telefon, Autoradio oder Hintergrundbeschallung.


HiFi? Sind das nicht die Leute, die bei der CD stehengeblieben sind?



Schöne neue Welt.



Längst können Algorithmen viel mehr, als Daten vernetzen und Lautsprecherklang filtern: Sie beseitigen die Raumakustik, passen Musikauswahl und Sound individuell den eigenen Hörgewohnheiten an, platzieren Schallquellen an beliebige Positionen im Raum und können mit "beamsteering" überraschende Raumeffekte erzeugen.


Bei modernen Mehrkanalverfahren werden zusätzliche Kanäle auch nicht mehr umständlich mit Mikrofonen aufgenommen, sondern (wie die Grafik in einem Videospiel) bei der Wiedergabe generiert.



Früher mussten sich Musiker in einem Konzertsaal treffen, Darmsaiten mit Pferdehaaren bearbeiten oder mit ihren Lungen Druckluft erzeugen. Oft mussten sie das sogar erst noch proben und dabei aufpassen, nicht über die Mikrofonkabel zu stolpern. Manche Musiker spielen auch auf gebrauchten Instrumenten, die bei jeder Inbetriebnahme erst manuell gestimmt werden müssen. Seit man aber die Statistik kennt, nach der Leute wie Guarneri oder Stradivari gearbeitet haben, braucht man weder deren Instrumente noch speziell geschultes Personal zur Bedienung.


Medienkonvergenz heißt nicht nur, dass man für Daten, Musik und Video die gleichen Geräte benutzt, sondern auch, dass sich Methoden und Inhalte angleichen. Mit Chancen für Neues und für Profilschärfung von Bestehendem.


Auch ohne Digitalisierung war die Vielfalt an Lautsprecherklängen bereits sehr breit. Es dürften Hunderte von Herstellern mit Tausenden von Modellen sein, die mit immer neuen Geschmacksrichtungen um Kunden werben. Die Passivtechnik bietet mit voluminösen Klangkörpern, Kabeln, Verstärkern und Zubehör zwar viele Kombinationsmöglichkeiten, wird einen Wettlauf um Sounddesign gegen die Digitaltechnik aber verlieren.

Die technische und klangliche Vielfalt ist interessant und kann Spaß machen. Spielfreude und neue Inhalte schaffen Aufmerksamkeit für die neuen wie die alten Medien.

HiFi ist aber das Medium zum dezidierten bewussten Hinhören und "audio" heißt nicht "ich werde beschallt", sondern "ich höre".

HiFi heißt nicht "schöne Töne", sondern "hohe Originaltreue". Originaltreue aber ist eher eindeutig als vielfältig und vielfältig sind dann die Inhalte, nicht die "Serviervorschläge".


Der Austausch von Daten funktioniert heute praktisch fehlerfrei. Die HiFi-Frage ist aber die Schnittstelle zwischen der elektronischen Welt der Signale und der mechanischen Welt der Schallwellen. Dies ist meist auch der Übergang von "digital" nach "analog", denn unsere Wahrnehmung ist so analog wie der Schall. Hier gibt es nicht Null oder Eins, hier können kleinste graduelle Abweichungen schon nach kurzer Zeit zu großen Unterschieden führen.


Or
iginalgetreue Abbildung in der analogen Welt ist eine schwierige Aufgabe und die HiFi-Technik hat z.B. bei Mikrofonen, Verstärkern und sogar LPs viele richtig gute Leistungen geliefert.


Auch bei Nicht-Technikern wird HiFi deshalb oft als eine Technik gesehen. Das nicht falsch, aber der Anspruch "Originaltreue" reicht nach unserem Verständnis weit über Technik hinaus
:


Die "perfekte" Abbildung von Klängen und ganzen Schallfeldern ist zunächst nur eine Idee, ein Ziel, dem man sich nähern, das man aber nie ganz erreichen kann. Das Verlangen nach Authentizität aber, der Wunsch, mit eigenen Sinnen echte ungefilterte Information zu erfahren, ist keine Utopie und mit jedem Schritt ein persönlicher Gewinn.


B
eim scheinbar so unscheinbaren Hörsinn ist dessen unglaubliche Leistungsfähigkeit bereits eine Entdeckung. Aus Hören wird Zuhören als sinnliches Erlebnis und als Achtsamkeit auch für die Inhalte.



Ob man das heute noch braucht? Es
war auch früher eher die Frage, ob man das will.


Eine HiFi-Anlage ist keine Konkurrenz zu Entertainment-Systemen. HiFi ist ein eigenständiges Medium, in dem Musiker, Ingenieure und Hörer nicht nur das tun, was man "braucht", sondern auch das tun können, was sie wollen.



Hat HiFi auch einen Nutzen?

Nach unserer Ansicht ist das eine rhetorische Frage, da Freude und Nutzen untrennbar verbunden sind. Man kann aber auch die Nützlichkeit betrachten.


Die Musik braucht HiFi als das große Archiv, das die Klänge der ganzen Welt sammelt und bewahrt und viele Aufnahmen gibt es nur, weil HiFi-Enthusiasten auch die Klänge erhalten wollen..


Die Musiker brauchen originalgetreue Aufnahmen, weil sie mit der Ausdruckskraft ihrer Klänge auch die Menschen vor den Lautsprechern berühren wollen.


Dirigenten und Musiker können nur über eine originalgetreue Wiedergabe hören, wie ihr Spiel und ihr Zusammenspiel aus der Perspektive des Publikums klingen. (Der Pianist Glenn Gould hatte sogar öffentliche Aufführungen ganz eingestellt, um nur noch in Ruhe und konzentriert im Tonstudio arbeiten zu können. Nach seiner Ansicht dient die öffentliche Zurschaustellung von Solisten nicht unbedingt der Musik.)

Nicht zuletzt könnte ein bisschen HiFi-Mentalität auch im Alltag guttun. In Interviews, bei Videokonferenzen, am Telefon, bei der Sprachausgabe von Automaten oder am Drive-in-Schalter ist die Tonqualität oft nur deshalb so schlecht, weil sich niemand dafür interessiert. Selbst dann nicht, wenn es mit wenig Aufwand auch besser ginge.




 
D
en größten Nutzen haben die HiFi-Hörer:


Niemand weiß genau, welche Klänge in einer Aufnahme enthalten sind. Wir hören immer nur den Teil, den unsere Technik auflösen kann. HiFi-Menschen wissen, dass Klänge (wie andere Botschaften) nicht nur einen Absender, sondern auch einen Empfänger haben und stets auch der Empfänger mitentscheidet, was er davon hören will. Bei HiFi kann man beobachten, wie unsensibel vereinfachte Empfangsqualität zu immer plakativeren und immer lauteren Darbietungen führt. HiFi ist eine Form von Medienkompetenz, die den "Empfänger" stärkt, denn die Absender haben sie bereits.

Mit der einmaligen Auflösung unserer Lautsprecher werden Sie in Aufnahmen Details entdecken, die noch nie jemand darin gehört hat, nicht einmal die Tonmeister beim Abhören ihrer eigenen Aufnahmen.



Vielleicht kennen Sie Sprüche in dem Sinn "... von Technik verstehe ich nichts", was oft implizieren soll "... mit solchen Dingen muss ich mich nicht beschäftigen". Bei HiFi sind Physik, Technik, Musik und Emotionen so eng verbunden, dass jeder automatisch ein paar elementare Zusammenhänge erkennt und wer sich für Technik interessiert kann hören, wie Regelungstheorie und Dopplerkompensation "klingen". Hier versteht aber niemand alles und alle verstehen, dass vor allem die Neugier zählt. Hier begegnen sich Laien und Fachleuten auf Augenhöhe: Die Ergebnisse sind hörbar und Laien haben den gleichen Hörsinn wie Fachleute, gelegentlich sogar den Vorteil, unbefangener urteilen zu können.


Originalgetreue Wiedergabe ist nicht "abgestimmt" für bestimmte Musikrichtungen. Sie prädestiniert oder verfestigt daher nicht einen Musikgeschmack, sondern lässt den Hörer über die Schönheit natürlicher Klänge auch Musikrichtungen entdecken, die er bisher nicht gewohnt war.

"Ich höre was, was Du nicht hörst".

Manchmal geraten auch kleine Störungen in die Aufnahmen. Da wackelt mal ein Klavierhocker, beim Umblättern fallen Notenblätter auf den Boden oder der Dirigent summt die Melodie mit. HiFi-Hörer freuen sich dann darüber, dass sie immer etwas mehr hören.



Driven by pleasure.



Man kann HiFi aber auch einfach unter dem Aspekt der Freude betrachten, die dieses Medium machen kann:



Ingenieure haben Freude an eleganten Lösungen, Musiker studieren Ihr Instrument, weil sie Freude daran haben und Instrumentenbauer wollen die Menschen mit schönen Klängen erfreuen. Hörer haben Freude an der Wunderwelt der Klänge, an Vielfalt und Komplexität. Und daran, in einer großen Qualitätsspanne der Technik noch eine echte Wahl zu haben.


H
ier kann man die Mittelmäßigkeit verlassen, ohne dies begründen zu müssen. Einfach weil es Spaß macht.



O
b man heute noch HiFi braucht, bleibt eine persönliche Entscheidung. Vielleicht kann man sie aber morgen wieder gebrauchen und HiFi-Menschen waren ihrer Zeit schon öfter mal etwas voraus.
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